Voraussetzungen der Veränderung
Der Umgang mit Veränderungen in Organisationen ist das Thema dieses Buches. Vorab soll deutlich werden: Veränderungen sind weder gut noch schlecht – allein ihre Bewertung kann ein Dilemma verursachen: Veränderungen können als Lösung oder als Problem gesehen werden.
Wer z.B. als Projektleiter oder -mitarbeiter seine Ideen einbringen konnte, versteht häufig nicht, wieso einige der Kollegen so „ignorant“ sind und die neue Arbeitsorganisation ablehnen. Für diesen ist doch sehr klar, warum diese Veränderung notwendig und sinnvoll ist. Genau darin „liegt der Hund begraben“: Wer mitmachen darf und das Ergebnis selbst mitgestaltet, kann eher „dahinterstehen“ oder ist sogar „Feuer und Flamme“ für die neuen Ideen. Damit wird bereits deutlich, dass ein wesentlicher Faktor für die Akzeptanz von Veränderungen nicht die Veränderung selbst ist, sondern die eigene Rolle darin. Derjenige, dessen Arbeitsbedingungen durch andere verändert werden, arrangiert sich eben damit – mehr oder weniger. Welche Konsequenzen dieses „mehr oder weniger“ nach sich ziehen kann, wird offensichtlich bei den meisten Veränderungsvorhaben entweder gar nicht, unvollständig oder erst zu spät berücksichtigt. Ein Grund dafür liegt in der Betrachtung der Mitarbeiter als Gegenstand oder Objekt der Veränderung – und nicht als deren Subjekt. Subjekt ist immer die handelnde Person, hier meistens der Auftraggeber oder Entscheider bzw. sein Erfüllungsgehilfe. Da Mitarbeiter beides sein können – Subjekt und Objekt der Veränderung –, macht O. Neuberger (2004) dies in [der] zitierten Formulierung deutlich: „Der Mensch ist Mittel. Punkt.“
Der Mensch wird überwiegend als Element (neben Aufgaben, Sachmitteln und Informationen) der Organisation angesehen, und damit als Mittel zum Zweck.
Das scheint aus funktionaler Sicht naheliegend zu sein: Der Zweck von Organisationen ist schließlich das Erreichen von Zielen bzw. das Erfüllen von Aufgaben. Menschen wollen jedoch aus ihrem Selbstverständnis und ethischen Anspruch heraus als autonome Wesen und Mittelpunkt betrachtet werden.
Bei dem scheinbar widersprüchlichen Zitat geht es nicht darum zu entscheiden, welche Position richtig ist bzw. welche zu vertreten oder zu bestärken wäre, sondern darum, wie aus unterschiedlichen Rollen heraus die jeweiligen Ansprüche und Erwartungen in und an dem Prozess der Veränderung – idealerweise gemeinsam – ausbalanciert werden können. […]
„Stets gilt es zu bedenken, dass nichts schwieriger zu bewerkstelligen, nichts von zweifelhafteren Erfolgsaussichten begleitet und nichts gefährlicher zu handhaben ist als eine Neuordnung der Dinge.“ N. Macchiavelli
Voraussetzungen für Veränderungen
Für ein erfolgsorientiertes Vorgehen bei Veränderungen ist es sinnvoll, die notwendigen Voraussetzungen zu klären bzw. zu schaffen:
Wer sieht Veränderungsbedarf wozu? Wer nicht?
Bei welchen Personen besteht eine Bereitschaft zur Veränderung? Bei welchen nicht?
Wie und von wem kann Klarheit für den Auftrag zur Veränderung erzeugt werden?
Bevor also überhaupt eine Veränderung beginnt, sogar bevor der entsprechende Auftrag dazu als gegeben angesehen werden kann, sind Auslöser und Hintergrund des Vorhabens zu klären. Dabei gilt grundsätzlich: Am Anfang steht der Auftrag. Und: Ohne Auftrag keine Handlung!
Veränderungsbedarf
Die Notwendigkeit für Veränderungen wird häufig durch das Management einer Organisation definiert. Andererseits können Vorschläge und Ideen der Mitarbeiter Anstoß für Veränderungen sein. Dies wird z.B. durch Ideenmanagement, betriebliches Vorschlagswesen oder einen kontinuierlichen Verbesserungsprozess (KVP) möglich. Damit sind die beiden Quellen bzw. Vorgehensrichtungen für Veränderungen benannt: top down – eine durch die Geschäftsleitung initiierte Veränderung – und bottom up – durch die Mitarbeiter ausgelöste Maßnahmen. In der Regel werden grundlegende Änderungen von Arbeitsabläufen und Strukturen (= „Prozessmusterwechsel“) oder Produktinnovationen „von oben“ angestoßen (P. KRUSE, 1998). Verbesserungen im laufenden Prozess – unter Beibehaltung der wesentlichen Bedingungen des Systems – also die Optimierung der bestehenden Funktionen werden i.d.R. „von unten“ durchgeführt. […]
An dieser Stelle soll deutlich gemacht werden, dass ein Veränderungsbedarf grundsätzlich in den Augen des Entscheiders oder Handelnden entsteht. Veränderungsbedarf wird durch die Wahrnehmung der Ausgangslage und deren Bewertung durch die relevanten Personen bestimmt.
Die Aussage: „Wir müssen uns jetzt aber verändern!“ bleibt daher ohne detaillierte Begründung lediglich eine Behauptung, der zunächst die Grundlage bzw. Plausibilität fehlt.
Weiterhin ist zwischen Muss- und Kann-Veränderungen zu unterscheiden. Muss-Veränderungen betreffen insbesondere gesetzliche Vorgaben, deren Umsetzung für die Organisation juristisch unausweichlich ist (z.B. die neu definierten Mindestanforderungen an das Kreditgeschäft im Bankensektor). Veränderungsbedarf kann dadurch erzeugt werden, dass Fakten geschaffen werden, zumeist durch Entscheidungen: Das Management entscheidet z.B., dass ein neues Produkt entwickelt wird, bestehende Arbeitsabläufe optimiert oder Kosten eingespart werden sollen.
Fazit: Veränderungsbedarf wird erfunden, nicht gefunden. Damit ändert sich grundsätzlich die Sichtweise auf Veränderungen: Sie sind keine schicksalhaften Ereignisse wie Naturkatastrophen, sondern etwas, das gewollt und initiiert wurde.
Somit stellt sich die Frage der Verantwortung für die Veränderung neu: Nicht nur derjenige, der für die Umsetzung zuständig ist, kann zur Verantwortung für das Ergebnis herangezogen werden. Es wird vielmehr deutlich, dass der Initiator des Vorhabens Sinn und Nutzen für die Betroffenen von Anfang an deutlich machen muss, wenn eine Rechtfertigung der Sache und Glaubwürdigkeit der Person entstehen sollen.
Veränderungsbereitschaft
Die erste und wichtigste Voraussetzung für umfassende Veränderungen (Prozessmusterwechsel) ist der Wille des Top-Managements, das Vorhaben zu beginnen und zu unterstützen. Die zweite Voraussetzung besteht in seiner Beteiligung am Veränderungsprozess durch Wort und Tat. Dazu gehört vor allem die persönliche Stellungnahme zu Fragen der Veränderung.
Die Bereitschaft der Mitarbeiter, sich auf einen Veränderungsprozess einzulassen, kann prinzipiell auf zwei Arten herbeigeführt werden: durch Überzeugung von der Notwendigkeit, was die Eigenmotivation der Beteiligten fördert, oder durch das Schaffen von Bedingungen, die ein ganz bestimmtes Handeln zwangsläufig erforderlich machen.
Eigenmotivation bedeutet, sich mit der Veränderung und deren Zielen zu identifizieren und selbst die Veränderungen im Arbeitsablauf umsetzen zu wollen.
Voraussetzung für die Eigenmotivation der Mitarbeiter ist das Schaffen von entsprechenden Rahmenbedingungen durch die Vorgesetzten:
Die Mitarbeiter sind aufgefordert, in ihrem Verantwortungsbereich Umsetzungs- und Verbesserungsvorschläge einzubringen.
Die Mitarbeiter beteiligen sich an der Umsetzung der Veränderungsschritte.
Die Mitarbeiter verbessern in Rücksprache mit ihrem Vorgesetzten die Abläufe.
Der Vorgesetzte unterstützt seine Mitarbeiter bei diesem Vorgehen.
Es herrscht eine positive Fehlerkultur: Fehler werden als Lernchancen und Ausgangspunkt für Verbesserungen angesehen; Fehler aufzeigen wird belohnt, Fehler vertuschen geahndet.
Andererseits meiden Menschen Veränderungen umso mehr, je sicherer sie sich gerade fühlen.
Menschen haben nicht nur Angst vor Gefahren, sondern scheuen auch Verluste. Solange sie einen positiven Status quo zu verteidigen haben, tun sie sich schwer mit Veränderungen. Viele werden dann in ihrem Handeln eher risikoscheu sein.
Um die Risikobereitschaft von sogenannten „Besitzstandswahrern“ zu erhöhen, versuchen Führungskräfte mit verschiedenen Mitteln, das Beharrungsvermögen oder Vermeidungsverhalten ihrer Mitarbeiter zu reduzieren bzw. zu verhindern.
Von der Antike bis zur Gegenwart haben Feldherren Brücken oder Schiffe hinter sich verbrannt, um den Rückzug unmöglich zu machen. Auch in modernen Unternehmen bzw. Organisationen werden daher kritische (= instabile) Situationen erzeugt, um Veränderungen zu initiieren bzw. durchzuführen.
Es werden Situationen herbeigeführt, in denen jeder einzelne Mitarbeiter sich persönlich in einer Alles-oder-Nichts-Situation befindet.
Damit werden nicht nur bisher gültige Regeln geändert („Wer seinen Job macht, dem passiert nichts“), verlangt wird sogar die Übernahme neuer Normen. Der daraus resultierende akute Konflikt („War das alles schlecht, was wir bisher gemacht haben?“) erfordert eine Anpassungsleistung der Beteiligten und kann als Chance genutzt werden.
Instabilität fördert so erhöhte Sensibilität, Kreativität und Anpassungsfähigkeit.
Auftragsklarheit
Veränderungen werden nicht nur durch Ankündigungen und Entscheidungen ausgelöst, sondern auch durch Handlungen angestoßen. Damit ist ein indirekter oder nicht thematisierter Veränderungsprozess gemeint: Mitarbeiter reagieren auf die Änderungen ihrer Arbeitsbedingungen, die „passiert“ sind. Führungskräfte, die ebenfalls nicht beteiligt wurden, „wursteln“ weiter; sie haben inhaltliche Aufgaben zu erledigen und das Veränderungsmanagement muss „nebenbei“ oder gar „zusätzlich“ erledigt werden. Die entsprechende Aussage eines Abteilungsleiters lautete:
„Wie soll ich mich auch noch um die Beziehungen zu meinen Mitarbeitern kümmern? Ich habe doch alle Hände voll zu tun mit den Veränderungen in meinem Bereich!“
Diese Führungskraft sah sich in einem Veränderungsprozess. Die Wahrnehmung der Veränderungen bezog sich allerdings auf inhaltliche bzw. strukturelle Themen; hinzu kamen noch Fragen methodischer Art bzgl. der Umsetzung. Die anderen beiden Dimensionen des Veränderungsprozesses, die Beziehung zu den Mitarbeitern sowie das eigene und fremde Verhalten im alltäglichen Miteinander wurden praktisch ausgeblendet.
Dieses Beispiel wirft wichtige Fragen auf:
Wie hat die Führungskraft den (Veränderungs-)Auftrag mit ihrem Auftraggeber geklärt?
Wie hat sie die dort verstandenen/ausgehandelten Ziele mit ihren eigenen Mitarbeitern behandelt?
Wie haben die Mitarbeiter auf die geplanten Veränderungen reagiert?
Wie ist die Führungskraft damit umgegangen?
Hat die Führungskraft erkannt, welche Bedeutung die Auftragsklärung mit den eigenen Mitarbeitern für das Veränderungsvorhaben besitzt? Hat sie dies wiederum mit ihrem Auftraggeber geklärt?
Auftragsklärung ist somit wesentlich mehr als lediglich das Auflisten von Arbeitsthemen, das Nennen von Terminen und Budget.
Neben anderen formellen Zielen geht es in Organisationen immer auch um Macht und Geld. Häufig sind gerade diese Faktoren besonders wichtig, wenn Entscheidungen getroffen werden. Welche Rolle dabei Führungskräfte, Mitarbeiter und ggf. Berater spielen (sollen), ist mindestens ebenso wichtig wie das Veränderungsvorhaben selbst. Damit ist das Umfeld der Veränderung (Kontext) thematisiert.
Nützliche Fragen zur Auftrags- und Kontextklärung:
Wieso wendet sich der Auftraggeber gerade an uns/mich? Wer ist noch im Spiel (weitere Auftraggeber, Betroffene, Berater)? Besonders bedeutsam ist die Klärung des Beziehungsangebots: Mit welchen Erwartungen tritt der Auftraggeber an die Führungskraft / den Mitarbeiter/den Berater heran? Soll dieser als Retter, Problemlöser, Kontrolleur, Schiedsrichter, Vollstrecker etc. fungieren?
Welches Anliegen bzw. welcher Anlass steht im Hintergrund? Warum will der Auftraggeber, dass diese Veränderung durchgeführt wird (veränderte Aufgaben, eine neue Zuordnung, Kundenanforderungen, Konflikte, sonstige Herausforderungen)?
Wie und mit welcher Hilfe soll der Auftragnehmer aktiv werden? Als Knowhow-Träger, der Wissen vermittelt (z.B. über Führung), als Methoden-Experte, der ein Defizit ausgleichen soll (z.B. im Projektmanagement), oder als Prozesssteuerer, der eine (Beziehungs-) Dienstleistung erbringt und z.B. eine Konfliktbearbeitung moderiert?
Welche Verhaltensweisen und/oder Sichtweisen von Betroffenen sollen verändert werden? Mit welcher Zielrichtung?
Wer hat noch ein Interesse an diesen Zielen? Wer möchte sie am liebsten verhindern?
Seit wann besteht das Problem?
Wer hat – außer dem Auftraggeber – das Problem bisher wie beschrieben?
Wann und wo tritt das Problem nicht auf? Wie erklärt sich das der Auftraggeber?
Woran würde der Auftraggeber merken, wenn das Problem gelöst wäre?
Wie würden andere relevante Personen (Mitarbeiter, Kollegen, Kunden) die Situation beschreiben, wenn das Problem gelöst wäre?
Der Zweck dieser Fragen besteht darin, sowohl das Umfeld des Problems als auch seine Einbettung in die Sicht- und Verhaltensweisen anderer Personen auszuleuchten.
Damit wird systemisches Denken bei der Auftrags- und Kontextklärung angewendet (H. R. FISCHER, UNVERÖFFENTL. MANUSKRIPTE).
Probleme sind – außer in stabilen technischen Systemen – nicht auf eine einzelne Ursache in einer lückenlosen logischen Ursache-Wirkungs-Kette zurückzuführen.
Denken in Beziehungen: Betrachtet werden nicht isolierte Phänomene (Elemente, Individuen etc.), sondern Wechselwirkungen (Interaktionen) zwischen Phänomenen – Verhaltens- und Sichtweisen bedingen sich wechselseitig und wirken auf sich zurück: Der Vorgesetzte, der „weiß“, dass sein Mitarbeiter „faul“ ist, sieht sich genötigt, ihn „konsequent“ zu „führen“; der Mitarbeiter erlebt verstärkte Kontrolle und versucht, Fehler zu vermeiden. Dies bewirkt eine größere Zurückhaltung seinerseits, die wiederum den Chef bestätigt; der „wusste es ja bereits vorher“.
Denken in Kreisprozessen: Zukünftig erwartete Ereignisse (z.B. Kritik durch den Vorgesetzten) bedingen das gegenwärtige Verhalten (z.B. Zurückhalten von kritischen Informationen seitens des Mitarbeiters); dies führt im Zweifel dazu, dass notwendige Maßnahmen zur Vermeidung von Fehlern nicht ergriffen werden können. Die dann folgenden negativen Arbeitsresultate veranlassen den Vorgesetzten wiederum, massiv Kritik zu üben. Das heißt, die Befürchtung des Mitarbeiters ist durch sein eigenes Verhalten Wirklichkeit geworden. Der „Rückkopplungseffekt“ führt dazu, dass der Lösungsversuch (das Zurückhalten von kritischen Zwischenergebnissen) zum Problem geworden ist.
Jedes menschliche Verhalten ist nur aus der Situation heraus (im Kontext) zu verstehen, in der es auftritt: Das Wegducken des Mitarbeiters wird als Reaktion auf das Führungsverhalten des Vorgesetzten nachvollziehbar, ebenso die Führungsabsicht des Vorgesetzten als Maßnahme auf die wahrgenommene Zurückhaltung des Mitarbeiters – jedes aus seiner eigenen Perspektive. Das Ganze erscheint jedoch von außen betrachtet noch mal in einem anderen Licht.
Denken in Mustern: Wechselwirkendes Verhalten (Interaktionen) gerinnt zu Mustern und ist Regeln unterworfen, die Inhalte sind dabei häufig austauschbar. Die „Eigenständigkeit“ jedes einzelnen Teammitglieds führt z. B. dazu, dass neue Arbeitsabläufe oder Inhalte verhindert werden, obwohl jeder deren Sinn erkennt. Der notwendige Konflikt wird allerdings nicht ausgetragen – auch, weil im Selbstverständnis der Gruppe die „Eigenverantwortung“ über allem steht und damit ihr Infragestellen tabuisiert ist.
Wirklich (handlungsrelevant) ist, was Personen für wirklich halten. Verhalten wird von den kognitiven Landkarten der Mitglieder eines Systems bestimmt: Das praktisch bedeutsamste „Ding“ eines Menschen ist seine Weltanschauung (Weltbild, Glaubenssätze, Perspektive, mentale Modelle …), denn dadurch betrachtet und bewertet er seine Welt. Diese inneren Landkarten sind für ihn keine variablen, d.h. mehr oder weniger beliebigen Aspekte, sondern grundlegendste Überzeugungen im Sinne eines Für-Wahr-Haltens. Sie stellen damit das Fundament seiner Intentionen und Handlungen dar. Sie werden zu seinem Bild der Wirklichkeit, sind also von ihm gemacht bzw. konstruiert.
Jede Person gestaltet ihre Situation mit und hat durch die wechselseitige Vernetztheit der Verhaltensabläufe Mitverantwortung.
Ressourcenorientierung: Systeme (Personen, Organisationen) haben in der Regel die Möglichkeit, ihre Probleme selbst zu lösen, sie sehen das häufig aber nicht.